Neulich saß ich wieder einmal in einem Meeting. Passiert mir ab und an. Es ging originellerweise um eine mögliche Umstrukturierung der Aufbauorganisation, sprich Änderungen am Organigramm (gab es ja noch nie).
Offizielle Begründung: Mehr Kundennähe, mehr Effizienz, mehr Schlagkraft.
Mein ketzerischer Anfangsverdacht: Mehr Honorar für externe Berater, mehr Mandate für Zentralabteilungen und mehr Blindleistung.
Wieso das Organigramm anpacken?
Deshalb stelle ich mir die Fragen: Warum vertreiben sich die ganzen „Top“-Manager mit Restrukturierungen die Zeit und welche Alternativen hätten sie?
Vielleicht bin ich in der Hinsicht nur zu kurzsichtig und unerfahren. Aber vielleicht ist das eigentliche Kernproblem in solchen Fällen, dass es einfach zu viele Mitarbeiter und Manager in der Organisation gibt. (Zugegeben: Meine etwas misstrauische Nullhypothese bei fast allen Konzernen). Zu viele Leute, die informiert und gefragt werden wollen. Zu wenig, die für schlecht laufende Geschäfte verantwortlich gemacht werden wollen.
Denn wenn es das perfekte Organigramm für bestimmte Branchen, Unternehmensgrößen oder Wertschöpfungstiefen gäbe, könnten wir dies vermutlich in einem Buch nachlesen. Gibt es aber offenkundig nicht. Es handelt sich anscheinend immer um einen Kompromiss. Ob dezentral oder zentral; funktional, divisional oder regional; Linie, Matrix oder Helix – Nichts scheint perfekt zu passen.
Daher ist mein Default-Ansatz: Fokus darauf, Umsatz zu steigern und Kosten zu senken, anstatt Org-Charts zu malen. Das gefällt sicher nicht denen, die sich durch die Umorganisation mehr Status (immer relativ zu den anderen natürlich) versprechen, aber ist letztlich meist produktiver.
Gehen Unternehmen an „falschen“ Organigrammen zugrunde?
Nehmen wir doch die historische Perspektive ein: Kennt jemand ein Unternehmen, das in den letzten 200 Jahren an einem „falschen“ Organigramm zugrunde gegangen ist? Bis jetzt ist mir keines bekannt (das kann aber durchaus an mir und meinen Lücken in Wirtschaftsgeschichte liegen). Ich meine allerdings, mich an grandiose unternehmerische Fehlschläge aufgrund folgender Probleme erinnern zu können:
- Veraltete Produkte
- Schlechter Kundenservice
- Zu hohe Kosten, z. B. durch aufgeblähte Verwaltungsbürokratien, ineffiziente Prozesse oder nicht wettbewerbsfähige Standortwahl
- Miserables Marketing
- Unaufmerksames Liquiditätsmanagement
Erstaunlicherweise reden Startups mit weniger als 100 Leuten auch nie über ihr Orgchart. Die diskutieren aber oft über Möglichkeiten, mehr zu verkaufen und günstiger einzukaufen. Denn das Wohlergehen jedes Einzelnen ist noch eng gekoppelt an das Schicksal des Unternehmens, und es gibt für alle mehr als genug zu tun. Gleiches gilt für Private Equity Gruppen: Der Fokus liegt auf der Optimierung des Cashflows, was auch nicht verwunderlich ist, wenn man sein eigenes Geld im Unternehmen investiert hat.
Das Schöne für Berater und Befürworter von großen Reorganisationen: Es gibt keine Kontrollgruppe. Niemand weiß, ob wir ohne die Umorganisation vielleicht sogar mehr Umsatz gemacht oder geringere Kosten gehabt hätten. Die Reibungsverluste durch die Umstrukturierung werden typischerweise auch kleingeredet und häufig nicht vorab quantifiziert (exakt messbar sind sie natürlich nicht).
In jeder Organisation gibt es Konflikte, Ausnahmen und Randfälle, die im Nachhinein betrachtet besser lösbar gewesen wären. Aber wird sich dies im neuen Organigramm komplett vermeiden lassen?
Welches Problem soll gelöst werden?
In der Quintessenz geht es doch meistens darum, dass
- Aufgaben nicht klar zugeordnet sind und
- Entscheidungsträger nicht klar definiert sind.
Eine klare Aufgabenzuordnung verlangt u.a., die anstehenden Aufgaben zu kennen und Ressourcen entsprechend zuzuteilen. Beides ist schon schwer genug – dazu muss man nämlich z.B. Probleme in Abläufen antizipieren und die voraussichtliche Dauer von Arbeitsschritten einschätzen. Somit bietet sich hier immer Potenzial zur weiteren Optimierung. Diese Optimierung kann aber mit jedem beliebigen Organigramm passieren (wenn es mit gesundem Menschenverstand gezeichnet wurde – Bitte jetzt keine Absurditäten in’s Feld führen). Und leider beinhaltet diese Optimierung oft den Abbau von Arbeitsplätzen.
Die Definition von Entscheidungsträgern beruht darauf, allen anderen Mitspielern das Recht auf Entscheidung abzusprechen. Und genau das ist oft des Pudels Kern: Die klare Trennung von Informationsrecht (der Möglichkeit, vorab einen Dissens kundzutun) und Entscheidungsbefugnis. Auch diese Kontroverse stellt sich aber in jedem vernünftigen Organigramm – irgendjemand muss das letzte Wort haben, nie wird man zu jedem Zeitpunkt allen Interessen gerecht. Das Zauberwort ist hier wohl Priorisierung.
Manchmal werden Reorgs auch getrieben durch die Meinung, bestimmte Personen seien überfordert oder unwillig, richtig zu „performen“. Das mag sein – hier gilt aber auch oft, dass die Erwartungshaltung nicht klar kommuniziert wurde. Die meisten Menschen passen sich ja an ihre Umgebung und die (vermuteten) Erwartungen ihrer Kollegen und Vorgesetzten an. Insofern ist auch hier als erster Schritt ratsam, implizite Erwartungen ganz explizit auf den Tisch zu legen, um Enttäuschungen und Stress auf beiden Seiten zu vermeiden.
Kommentare wie immer gerne – Life is a journey, und ich bin schon oft vom Gegenteil meiner vorherigen Meinung überzeugt worden.